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Die Anfänge der Dorfschule

Die Anfänge der Dorfschule

Das Haus an der Rigigasse, die an dieser Stelle von der Dorfstrasse hinunter zur Kantonsstrasse führt, ist schon seit vielen Generationen ein reines Wohnhaus, das immer wieder den Bedürfnissen seiner Bewohner angepasst wurde. Wenn man Martin Baumgartner glauben darf, war die Schulstube im rechtwinklig dazu stehenden schopfartigen Gebäude (mit der Satellitenschüssel) untergebracht.

Martin Baumgartner (1896−1966) widmete den ersten Lehrerpersönlichkeiten der Engeler Dorfschule, Heinrich Hämmerli (1741−1815), Joachim Baumgartner (1800−1881) und Samuel Blumer (1804−1849), biographische Abschnitte.[1] Mit Bedauern hielt er 1938 fest, dass ihm der Zugang zu den schulgeschichtlichen Quellen der Gemeinde lange verwehrt blieb. Dies ist wohl ein Grund, weshalb er die Anfänge und die Entwicklung der dorfeigenen Schule als Institution nicht mehr behandelte, obwohl dies zu tun seine Absicht war.[2] Immerhin benennt Baumgartner den genauen Standort der ersten Engeler Unterrichtsstätte. Es war „eine sehr primitive Schulstube, wie es in einem Bericht von 1780 heißt: ,Unser Schullokal ist nur eine Stube an einem andern Gebäude angehänkt.‘ Es ist uns ja den meisten bekannt, wo wir diese ehemalige Schule zu suchen haben; es ist die Wohnung des Jost Altmann am Rigigäßchen, die von 1779 bis 1832 als Schulstube diente.“[3] Nun ist es Zeit, die heute verlorene Erinnerung aufzufrischen und die Gelegenheit zu ergreifen, die erste Engeler Schulordnung von 1779 zusammenfassend vorzustellen. Bereits 1985 wurde sie in der Sammlung Glarner Rechtsquellen herausgegeben. Diese Edition liegt der hier unternommenen Aktualisierung zugrunde.[4] Das Original wurde im Gemeindearchiv Engi aufbewahrt, bis es um 2010 in der Abteilung kommunaler Archive des Landesarchivs Glarus seinen Platz fand (Signatur: SG Engi II.B.08). Zusammen mit anderen dorfgeschichtlich wichtigen Dokumenten blieb es dank den Bemühungen Privater und dem Einsatz des damaligen Gemeindeschreibers von der auf weiten Strecken zerstörerischen Ordnungswut einer anlässlich der Glarner Gemeindefusion beauftragten Privatfirma verschont.

Die Schulordnung vom 11. März 1779 ist das erste Zeugnis einer Institutionalisierung des Engeler Schulwesens und daher von besonderem historischem Wert. Sie gibt allerdings nur allgemeine Auskünfte zum Unterricht, dagegen wichtige Hinweise zur Finanzierung der damals allein der Kompetenz der Gemeinden überlassenen Dorfschulen. Nicht zufällig fallen die kommunalen Bestrebungen, für die Ausbildung der Bürger zu sorgen, in das 18. Jahrhundert bzw. in die Epoche der Aufklärung. Auch unser Dokument legt diesen bildungsgeschichtlichen Zusammenhang andeutungsweise offen. Im Wesentlichen beschränkte man sich auf die Fixierung knapper Ausführungsbestimmungen zur Schulgründung.

Das Gründungsdokument besteht aus einer allgemeinen Einleitung und acht Hauptpunkten, denen am Schluss die Namen der Personen folgen, die für das Schulprojekt verantwortlich zeichneten: je zwei Ratsherren, Tagwenvögte und weitere Vertreter der Dorfelite. Die Tagwensbürger kamen überein, die Kinder „wenigstens im leßen und schreiben wohl unterrichten zu laßen, damit sie gute begrif in unserer heiligen religion bei zeiten bekommen und als nuzliche glider der menschhlichen [sic] gesellschaft aufwachsen können“. Es ist bemerkenswert, dass der Unterricht ausdrücklich in den Dienst kirchlicher Unterweisung gestellt, aber auch der für die Zeit der Aufklärung typische Nutzen der Schule betont wurde.

Man wollte sich aus der schulischen Abhängigkeit von den ‚Kirchgenossen von Matt-Engi‘ befreien und im eigenen Dorf eine Schule eröffnen, dies auch in der Hoffnung, die Besuchsfrequenzen zu erhöhen. Schliesslich legte man Wert auf die Beschäftigung eines ,Schulmeister‘ genannten Lehrers. Der Besuch des Unterrichts war freiwillig. Unabhängig vom Alter war pro Kind der wohl einmalige Betrag von sechs Batzen Schulgeld zu entrichten. Auch wurde eine Schulsteuer eingeführt, die auf tausend Gulden Vermögen einen Gulden und auf jede hundert fünf Schilling betrug. Für jede Frau eines wohlhabenderen Haushalts, die Nachkommen hatte, waren fünf Batzen zu bezahlen. Das Taufgeld von 10 Batzen gelangte ebenfalls in das vorgesehene Schulgut. Hinzu kamen 70 Gulden, die ein Tagwensbürger „seinen beschwärden wegen bezahlt hat“. Die Aufsicht über die Schule wurde einem Schulvogt übertragen, der „auch gewüßenhafte rechnung füehren solle, wie es einem bidermann gehört“. Schliesslich wurden die Mitkirchgenossen von Matt und die Tagwensbürger von Engi um freiwillige Unterstützung des Schulvorhabens gebeten, „damit unter gottes segen das schuolgut sich vermehre und der darbei suchende heilsamme endzweck erreicht werde“. In der Rechnung der Kirchgenossen von Matt-Engi von 1780 werden tatsächlich 105 Gulden Unterstützungsgelder zuhanden der Engeler Schule ausgewiesen.[5] Die Priorisierung monetärer Gesichtspunkte in der Schulordnung ist wohl der politischen Tragweite und der angestrebten Verwirklichung des Projekts geschuldet, das für ein armes Dorf, wie es Engi damals war, eine beträchtliche finanzielle Belastung darstellte.

Bereits im April 1779 bewilligte der glarnerische Evangelische Rat das Schulprojekt und unterstützte es mit einem Landesbeitrag von 12 neuen Dublonen (etwa 130 Gulden). Die Tagwenleute von Engi steuerten 70 Gulden, Elm und Niederurnen weitere finanzielle Mittel bei. Darüber hinaus gingen von 60 Privatleuten Spenden ein. Diese auch im historischen Rückblick erfreuliche Entwicklung der Schulgründung wird durch den zwiespältigen Eindruck getrübt, den zwanzig Jahre später eine von den helvetischen Behörden veranstaltete Umfrage hinterlässt: Nur 75 von 168 Kindern im geeigneten Alter besuchten damals in Engi die Dorfschule. Die anderen hinderte das entlegene Wohnen, am Unterricht teilzunehmen, und/oder sie waren „zu arm, daß sie wegen der Kleidung und Speiß auch viel verhinderet werden“.[6] Erst Jahrzehnte später, mit der Einführung der Glarner Kantonsverfassung (1836), erfuhr das Schulwesen vermehrte kantonale Förderung auf gesetzlicher Grundlage.


[1] Martin Baumgartner: Zur Geschichte der bürgerlichen Geschlechter von Engi und ihre Entwicklung. Oeffentliche Vorträge. Glarus o.J., S. 20, 29, 37f.

[2] Martin Baumgartner: Beiträge zur Gemeindegeschichte von Engi. Etwas über: „Politische Geschichte unserer Gemeinde im letzten Jahrhundert.“ Heimatkundlicher Vortrag öffentlich gehalten am 2. April 1938. Glarus, o.J., S. 1; S. 2: „Es kann nun aber bemerkt werden, daß mir das Gewünschte in den letzten Tagen eingehändigt wurde und ich vorhabe, nun auch die Schulgeschichte zu verarbeiten.“

[3] Baumgartner (Anm. 1), S. 38.

[4] Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen […]. VII. Abteilung. Die Rechtsquellen des Kantons Glarus. Vierter Band. Gemeinden und private Genossenschaften. Bearbeitet von Fritz Stucki. Aarau 1985, S. 1894f., Schuolverordnungen und gesetze eines ehrsammen tagwens Engi.

[5] Jahresrechnung von 1780 im Archiv der Kirchgemeinde Matt-Engi, S. 6 (Band mit den Rechnungsabschlüssen von 1775 bis 1846).

[6] Berichte über den Zustand des Schulwesens im Kanton Glarus vom Jahr 1799, S. 52, Landesarchiv Glarus, Signatur: AAA 4, 85a.

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