Forschungen Engi Hanburger

Dörfliche Ziegengeschichte

Dörfliche Ziegengeschichte

Diese Zeichnung befindet sich im Artikel von Stebler (siehe Anm. 2) auf S. 538

Das Buch Engi – Ein historischer Spaziergang widmet der Ziegenhaltung mehrere Seiten.[1] In einem Artikel der Glarner Nachrichten vom 28. Oktober 1939 zitierte der Engeler Korrespondent einen längeren Abschnitt aus einem rund vierzig Jahre früher erschienenen Beitrag. Dass dieser in der Zeitschrift Die Schweiz publiziert wurde, fand ich erst jetzt heraus.[2] Ferner erlaubt eine einmalige Überlieferung, den lohnenden Gegenstand zu vertiefen.[3] Am 14. Juli 1972 wurde die am 14. April 1884 gegründete Ziegenkorporation von Engi de iure aufgelöst, wird seither aber unter anderen Namen weitergeführt.[4] Vor mehr als 50 Jahren ging trotz des Weiterbestands der Vereinigung eine wirtschaftsgeschichtliche Ära im Dorf zu Ende, die sich aufgrund schriftlicher Dokumente bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. Die Ziege war seit der Frühen Neuzeit und auch nach der Industrialisierung eine unentbehrliche Nahrungs- und Einnahmequelle. Man nannte sie auch die ‘Kuh des armen Mannes’. Manche Ziegenhalter verdienten ihr Brot im 19. und im 20. Jahrhundert in der Engeler Weberei oder übten eine handwerkliche Tätigkeit aus. Die Ziegenhaltung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Sie wird zum Teil als Nebenerwerb betrieben, Die Tiere grasen die steilen Hänge ab und vermindern dadurch die Verbuschung.

Die Tagwensversammlung vom 27. Januar 1887 überliess die bis dahin der Gemeinde gehörenden Geissweidrechte sowie die damit verbundenen organisatorischen Aufgaben den Ziegenbesitzern. Diese Privatisierung führte im selben Jahr zur Gründung einer Ziegenkorporation. Ihr stand eine Kommission vor, die sich aus dem Präsidenten, das heisst dem Geissvogt, einem Schreiber (Aktuar) und einem Beisitzer zusammensetzte. Die meisten Ausgaben betrafen den Lohn und weitere Entschädigungen des Hirten, dem von der Korporation auch die unentbehrlichen wetterfesten Schuhe bezahlt wurden. Dem Geissvogt entrichtete man ein Wartgeld.

Der Bau der Ziegenställe im Kugelries wurde an zwei Tagwensversammlungen im Frühjahr 1889 beschlossen. Die Kosten des Mauerwerks übernahm die Gemeinde, während für den Holzbau und das Dach die Ziegenbesitzer aufzukommen hatten. Es lag in ihrem Interesse, möglichst viel davon eigenhändig zu erstellen. Eine Vorschrift lautete, dass für «die Dachung […] nur Schieferplatten in kouranten Grössen verwendet werden» durften. Den Plan der Geissenstadt entwarf ein Glarner Architekt. Das Verhältnis der Korporation zur Gemeinde respektive die Pflichten der Ziegenbesitzer wurden in dem vom Gemeinderat erlassenen Reglement über den Bau und die zukünftige Benutzung der Ziegenställe geregelt.

Im Gründungsjahr zählte die Herde 529, 1901 bereits 634 Ziegen. Fünf Jahre später waren es 665 Ziegen, vor dem Ersten Weltkrieg 644, 1917 647 Ziegen. Erst seit dem Jahr 1910 führt die Geissrechnung Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen auf. Wahrscheinlich wurden bis zu diesem Zeitpunkt die Defizite der Korporation von der Gemeinde getragen. An der Hauptversammlung der Korporation von 1913 wurden detaillierte Vorschriften über die Pflichten des Geissers sowie über die Behirtung der Ziegen erlassen. Die Geisser wurden unter anderem verpflichtet, «an den von der Commission zu bezeichnenden Stellen das Horn zu blasen». Die Geissenstadt war, wie ich vom Hörensagen weiss, ein wichtiger Ort dörflichen Gedankenaustauschs.

Lange vor den Jahren des Zweiten Weltkriegs ging die Ziegenzahl markant zurück: 1931 waren es nur noch 415, 1944 lediglich 383 Stück. Ursachen des Rückgangs waren unter anderem die fortgeschrittene Mobilität und der grössere Wohlstand der Dorfbevölkerung. Die Korporation hatte stets unter der Aufsicht des Gemeinderats, genauer der Bürgergemeinde, gestanden. Diese erliess 1947 ein Gesetz, in dem die sogenannten Aufzugs- respektive Fahr- und Weiderechte der Ziegenherden des Tals und des Gufelstocks genau umschrieben wurden.

Die wichtigsten Weidegebiete gab es bereits im 17. und 18. Jahrhundert. Deren Lokalisierung in zeitgenössischen Quellen liefert der Flurnamenforschung bis jetzt entgangene Belege. Die erwähnte Gemeindeverordnung nannte 1612 und 1660 als Jahre überlieferter Geissrechte. Der Talherde wurden das Mettlen und angrenzende Fluren (vgl. das zu Beginn dieses Texts erwähnte Foto) zugewiesen, ferner vor und nach der Alpfahrt Weiden in den Gebieten der Mühlebachalp sowie der Alpen Fittern, Laueli und Kreuel. Im selben Text erliess man erstmals Vorschriften für die 50 bis 80 Ziegen umfassende Gufelstock-Herde. Auch hier fällt die präzise Lokalisierung der erlaubten Weidezonen auf, zum Beispiel: «Unter dem Gufeligrünen durch den Wald unter oder ob den Ueblitalköpfen durch nach dem Felderberg, von dort hinauf und oben zurück nach der Hüttliruns und Hatzgen.» Noch aus den letzten Kriegsjahren (1944/45) und von 1946 stammt das Geisserbuch von Fritz Hämmerli senior (1912−1998), das über die täglichen Ziegenausfahrten genau Protokoll führte und auch dem Wetter Beachtung schenkte. So war es am 16. April 1946 ‘föhnig’ und wurde um 9.30 Uhr ‘ausgefahren’. Fortsetzung folgt.

 

[1] Engi – Ein historischer Spaziergang. Glarus 1996, Ziegenhaltung, S. 121−124 (auch mit einem Foto der Ziegenherde, um 1905, und dem Plan der sogenannten Geissenstadt).

[2] Friedrich Gottlieb Stebler: Die Ziegenherden in den Alpen. In: Die Schweiz. Schweizerische illustrierte Zeitschrift. Erster Jahrgang. Zürich 1897, S. 535−538 (auch zu Elm; mit vier Abbildungen).

[3] Fritz Hämmerli-Kamm, Engi, danken wir für die Zustimmung, die wichtigen Quellen erstmals historisch auswerten zu dürfen. Er und Fritz Blumer-Altmann (1923−1993) setzten sich dafür ein, dass sie nicht verloren gingen.

[4] Vgl. dazu: Josef Weber: 25 Jahre Ziegenzuchtgenossenschaft Engi und Umgebung. Typoskript o.O. 1977. Kaspar Disch-Kistler: 50 und 25 jähriges Jubiläum der Ziegenzuchtgenossenschaft Engi und Umgebung 1952 bis 1977. Glarner Kantonale Ziegenzuchtgenossenschaft 1977 bis 2002. Typoskript. Elm 2002 (nach der Übernahme des Vereinsstatus im Jahr 2004 Glarner Ziegenzucht-Verein).

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