Ein Fluss namens Sernf ‒ Notiz von Sprachpedanten
Der Sernf bei Engi Hinterdorf, aufgenommen im Juni 2021. Ständige Begleiter des Flusses sind die Masten und Drahtseile der 1960–1965 erbauten Vorab- oder Tavanasa-Hochspannungsleitung.
Unser Talfluss, der Sernf (Mundart: dr Särft), schaffte es vor etwa 25 Jahren in den Duden, der die höchste Autorität deutscher Rechtschreibung verkörpert. Uns liegen die 21. und die 25. Auflage dieses Werks vor.[1] Nur: Im Lexikon erschien der Flussname mit dem weiblichen Artikel, ‘die Sernf’.[2] Der Gebrauch der deutschen Sprache nimmt die Verwendung des richtigen Geschlechts sehr ernst. Männlich, weiblich und sächlich werden grammatikalisch unterschieden.
Anlass, 2010 im Duden nachzuschlagen und die falsche Geschlechtszuschreibung unseres Flussnamens festzustellen, war Ende Okober jenes Jahres das Erscheinen einer mit Farbabbildungen versehenen Fallstudie zur ‘landschaftlichen Identität’ in der Gemeinde Glarus Süd, das mit einer Vernissage im Hänggiturm in Schwanden gefeiert wurde.[3] Die beiden Autorinnen hatten, duden-, aber nicht wirklichkeitsgerecht, aus dem männlichen Flussnamen einen weiblichen gemacht,[4] obwohl sie bei der Buchpräsentation betonten, wie sehr sie mit zahlreichen Gesprächen die Bevölkerung in ihre Studie einbezogen hätten. Von uns in einer E-Mail auf den Fehler angesprochen, rechtfertigte Christine Meier in ihrer Antwort die falsche Artikelwahl damit, dass es «sich bei der Verwendung von ‘die Sernft’ nicht um einen Fehler» handle, «sondern wir uns an die wissenschaftliche Terminologie bei Flüssen gehalten haben».[5] Flussnamen seien demnach, schien sie zu behaupten, ‘wissenschaftlich’ betrachtet, generell feminin. Lasen wir richtig? Hat jemand schon einmal in die Rhein oder in die Neckar gespuckt? Hatten wir es hier mit fragwürdiger Wissenschaft gegen durchgängigen einheimischen Sprachgebrauch, rechthaberisch von aussen diktierter, aufgezwungener und später womöglich sanktionierter Norm zu tun? Dass Frau Meier offenbar von einem Glarner Chefbeamten die Auskunft erhielt, ‘Sernf’ im Femininum sei ebenso korrekt wie im Maskulinum, machte den Irrtum nicht besser. Alarmiert fragten wir bei der Dudenredaktion nach, wie es zur Geschlechtsveränderung von ‘Sernf’ gekommen sei. Die antwortende Person konnte «sich leider […] nicht mehr erinnern, was 1996 ausschlaggebend für die Einschätzung von Sernf als Femininum war».[6] Allerdings wies man in derselben Antwort auf nicht näher dokumentierte Belege in der Neuen Zürcher Zeitung und in Tim Krohns Roman Quatemberkinder (1998) hin. Immerhin nahm der Duden unsere Korrektur auf: Er machte den Fehler rückgängig, gab also dem Sernf das ihm von jeher zukommende männliche Geschlecht zurück.
[1] Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache. 21., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim u.a. 1996. Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 25., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim u.a. 2009.
[2] Ebd., 21. Aufl., S. 678, 25. Aufl., S. 980.
[3] Christine Meier, Annemarie Bucher: Die zukünftige Landschaft erinnern. Eine Fallstudie zu Landschaft, Landschaftsbewusstsein und landschaftlicher Identität in Glarus Süd. Bern 2010.
[4] Ebd., S. 54, S. 59‒61. Der Widerspruch zu zitierten Stellen, an denen das richtige grammatikalische Geschlecht verwendet wurde, fiel den Verfasserinnen nicht auf (vgl. S. 44 und S. 61 [!]).
[5] E-Mail von Christine Meier vom 24. Oktober 2010.
[6] E-Mail-Antwort des ‘Kundenservice’ der Dudenredaktion vom 27. Oktober 2010.