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Ferienheim Gufelstock – Blick in die Vergangenheit

Ferienheim Gufelstock –  Blick in die Vergangenheit

Der prächtige Blick von der Terasse des Ferienheims ins Sernftal. Das Foto verdanken wir Familie Leonhard und Margrit Marti, Holderbergli, Engi, die es auf ihrer Webseite Ferienheim Gufelstock aufgeschaltet haben.

Eine Schar von Zürcher Schulkindern wartete in den 1950er-Jahren in Schwanden auf die rote Bahn, die ins Sernftal fuhr. Darunter auch ein 11jähriger Knabe, dessen Freude an der Aussicht auf das Schullager am Gufelstock oberhalb Engi weniger als mässig war. Sein riesengrosser Rucksack, gefüllt mit Kleidern, Sackmesser, Trinkbecher und einigen Büchern schien ihn fast zu erdrücken, auch die neuen Wanderschuhe taten weh. Immer wieder sagte er sich: „Es muss halt einfach sein. Es wird vorübergehen.“

Im Internet ist heute zu lesen:

„Das einzigartige Haus an sehr sonniger Lage mit sensationeller Aussicht über das wunderschöne Sernftal: Sehr geeignet für Klassenlager, Lager jeglicher Art, Familienferien, Familienfeiern, Hochzeiten und Seminare. Der gedeckte Balkon und eigene Sportplatz lassen keine Wünsche offen! […] 45 Gehminuten ab Engi Weberei, Zufahrt auch mit Extra Bus möglich. Nach einer kurzen 30minütigen Wanderung, direkt ausgehend vom Ferienheim, ist ein schöner Bergbach mit Feuerstelle erreichbar.“

Natürlich dauerte das ‘Bergsteigen’ von Engi aus bis zum Ferienheim für die Kinder der 5. Schulklasse etwas länger als 45 Minuten. Und der Zürcher Knabe war riesenfroh, als er seine Last im Schlafraum des Ferienheimes ablegen konnte. Er hätte so gerne ein Zimmer für sich gehabt, war sich aber an Massenlager mehr oder weniger aus der Pfadi gewohnt. Es hiess nun, sich innerlich abschotten und das Beste draus machen. Bei schönem Wetter war es hier oben eigentlich traumhaft und die Aussicht ins schöne Sernftal wirklich sensationell. Nur – man war halt nicht allein.

Das Angebot an Aktivitäten war aber toll: Boccia, Völkerball, Orientierungsläufe, Wanderungen und leichte Bergtouren. Der Knabe empfand die Wanderung zu den Murgseeli via Mühlibachtal als voll von Überraschungen. Darauf freute er sich jedes Jahr, obwohl sie wirklich eine Strapaze war. Und dieses Jahr taten auch die neuen Wanderschuhe fürchterlich weh und riefen Blasen hervor. Aber man wurde belohnt. Nur einmal wurde der Knabe sehr traurig, und viele von der Klasse schrien auf: Das Murgseeli war voller verstümmelter Froschleiber. Jemand hatte diesen Wesen die Beine ausgerissen…

Abends machte man Spiele, Quiz, Gedächtnissport und vieles mehr. Am Schluss musste man auch einen Aufsatz über die Ferienwoche schreiben. Am liebsten aber sass der Knabe auf einem grossen Stein unweit des Ferienheimes und las in seinen mitgebrachen Büchern. Grosse Steinblöcke gab es hier viele, und beim Gedanken, dass die ja einmal vom Gufelstock (2436 m ü. M.) heruntergesaust waren, wurde es einem ein bisschen eng ums Herz. Denn nicht viel weiter über dem Ferienheim begann eine hohe Geröllhalde, die fast bis zum Gipfel reichte. --- Und doch, auf dem grossen Stein vergass der Knabe alles, was rund um ihn war.

Hie und da kamen auch Schulklassen von Engi herauf, um sich mit den Zürcher Kindern in sportlichen Spielen zu messen. War das ein Schreien und oft ein Chaos. Jedes Team wollte besser sein als das andere. Der Knabe hasste diese Besuche, weil es dann noch lauter war als sonst. Meistens suchte er dann Zuflucht auf seinem Stein und hoffte, dass ihn der Lehrer nicht vermisste.

Einmal näherte sich ihm in so einer Situation ein Mädchen aus dem Dorf Engi. Es war scheu und fragte ganz leise, was er denn da lese. Der Knabe sah zuerst ein bisschen ärgerlich auf, freute sich dann aber an dem Mädchen mit den lustigen Zöpfen und einer umgebundenen Schürze. Warum man beim Wandern und Spielen eine Schürze tragen sollte, war ihm zwar ein Rätsel, aber ein Wesen, das danach fragte, was er denn lese, war eine willkommene Abwechslung. So unterhielten sich diese zwei Kinder prächtig. Plötzlich sagte das Mädchen: „Du meine Güte – ich muss zu meiner Gruppe. Wir müssen zurück. Auf Wiedersehen!“ Und – weg war es.

Der Knabe dachte, dass ein Wiedersehen ganz und gar unmöglich sei, und widmete sich wieder seiner Lektüre. Das Mädchen musste beim Rennen innerlich ein bisschen schmunzeln. Der Knabe hatte nämlich eine Brille mit ganz runden Gläsern, was ihm einen seltsam altklugen, ja gelehrten Ausdruck verlieh.

Viele Jahre später wurden dieses Mädchen und der Knabe ein Paar. Nicht etwa, dass sie sich noch aneinander erinnert hätten. Nein -- erst lange nach der Hochzeit merkten sie, dass sie sich schon als Kinder getroffen hatten. – Sie waren miteinander im Ferienheim ‘Gufelstock’ gewesen. Zufall oder Vorsehung?

Anna Käthi und Hans Walther

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