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Mehr über Sagenfräuleins

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Die Speichenrunse im Vorfrühling mit Blick zum Gufelstock

Sagen werden in der Regel als uralte Erzählungen bezeichnet, die in eine graue Vorzeit zurückreichten. Solche Behauptungen lassen sich in der Regel nicht überprüfen, da schriftliche Zeugnisse über die Entstehung dieser lokalen Erzähltradition fehlen. Wie weit geht nun die schriftliche Überlieferung zum Engeler Pulsterewibli zurück? Die Herausgeber der zitierten Sagensammlung übernahmen den Sagentext fast wortwörtlich der Anmerkung eines Aufsatzes des Glarner Historikers, Kompilators und Pfarrers Gottfried Heer (1843‒1921). Am 25. November 1886 hielt dieser vor dem Historischen Verein des Kantons Glarus einen Vortrag , der im folgenden Jahr in veränderter Form in einer separaten Publikation über Das Altglarnerische Heidentum in seinen noch vorhandenen Überresten erschien.[1] Heer berichtet aber im Haupttext dazu noch von einer anderen, ‘Bergfräulein’ genannten Sagenfrau, die sich im Gebiet der Speichenrunse aufhalte, die «vor allem durch (ihren) großen Schatthut und rote Strümpfe sich bemerklich machte».[2] Ob es eine Beziehung zwischen den beiden Gespenstern gibt, ist unklar. Man sieht die mündliche Überlieferung am Werk, die mit Varianten arbeitet und Grenzen verwischt. Auch Heer war nicht traditionsunabhängig. Er schöpfte, ohne dass er es sagt, einen Teil seiner Kenntnisse über die Engeler Sagengestalten höchstwahrscheinlich aus dem vom Naturforscher Oswald Heer (1809‒1883) und vom Glarner Gerichtspräsidenten und späteren Präsidenten des ersten ständigen Bundesgerichts Johann Jakob Blumer (1819‒1875) herausgegebenen siebten Band des Gemäldes der Schweiz, der dem Kanton Glarus gewidmet ist. Hier ist zu lesen: «Von Bergfräulein (Bergfeen) kommen noch mehrere vor: […] das Pulsterewibli in der Pulstere bei Engi, und das Wibli mit großem Schatthut und rothen Strümpfen, welches Zeitenweise längs der Speichenrunse in Engi herunter schwebt. Von Sagen, die an diese Bergfeen oder Bergalben sich knüpfen, finden sich nur noch dunkle, verwischte Fragmente.»[3] Gottfried Heer suchte, an das Gemälde anknüpfend, die heidnischen, sprich abergläubischen Ursprünge der Sagen und anderer Erscheinungen des sogenannten Volksglaubens aufzuspüren. Damit betrat er das Gelände der Spekulation und gab sich als ein später Nachfolger der insbesondere an germanischen Mythen interessierten Gebrüder Grimm zu erkennen.

Sachdienliche Mitteilungen über die Herkunft und das Weiterleben der Engeler Sagenwibli werden gerne entgegengenommen. Das Dunkel der Überlieferung setzt der Erkenntnis der mündlichen Traditionsstränge allerdings enge zeitliche Grenzen. Die Neugier nach den Ursprüngen der beiden Engeler Sagengestalten wird die Geschichtsschreibung kaum befriedigen können. Übrigens erfreuen sich Glarner Sagen gegenwärtig eines auf ein breites Publikum ausgerichteten, bisweilen kreativen Interesses. Das Erzählgut wirkt in Wort und Bild weiter. Es nimmt, auch medial, den Wandel der Zeit in sich auf. Ein Blick zurück in die Geschichte der Überlieferung ist bisweilen ernüchternd, weil beinahe ergebnislos, jedoch trotzdem stets lehrreich, weil es überzogene Erkenntniserwartungen enttäuscht oder mindestens dämpft.


[1] Zürich 1887.

[2] Ebd., S. 20.

[3] Oswald Heer, J[ohann] J[akob] Blumer-Heer: Historisch-geographisch-statistisches Gemälde der Schweiz. VII. Band. Der Kanton Glarus. St. Gallen, Bern 1846, S. 317.

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