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Primarschule in den 1950iger Jahren: kurzer Erlebniskalender

Primarschule in den 1950iger Jahren: kurzer Erlebniskalender

Die gemeinsam von Lehrer Konrad Marti (1922 –2008; vorne Mitte) unterrichtete 3. und 4. Primarklasse. Der dritte von links in der zweiten Reihe von hinten ist der Schreibende.

Das Gedächtnis ist ein Löcherbecken, stand in einer Erzählung im Fünftklasslesebuch. Ihren Titel kenne ich nicht mehr, nur noch die eindrückliche Metapher. Die Erinnerungslücken an die sechs Jahre Primarschule in Engi sind weit grösser als das, was haften blieb.

Im Frühjahr 1954 war mein erster Schultag. Die strenge Verteilung der Sitzplätze nach Geschlecht war im Schulzimmer damals die übliche Ordnung. Dass ich als einziger Knabe neben einer Klassenkameradin in der vordersten Bankreihe Platz zu nehmen hatte, passte mir gar nicht. Aus welchen Gründen auch immer blieb mir keine andere Wahl.

Lesen und schreiben lernte ich erst in der Schule. Wie das ablief, weiss ich nicht mehr. Geschrieben wurde mit aus einheimischer Produktion stammenden Schiefergriffeln auf Schiefertafeln, die nach dem Gebrauch in eine Art Fach, das vor der Schulbank angebracht war, hineingestellt werden konnten. In der dritten Klasse kam das Schreiben mit einer Feder dazu, die aber nur für Einträge in das Reinheft des Unterrichts in Heimatkunde verwendet wurde.

Vor den Herbst- und vor den Frühlingsferien wurde in schriftlichen Zeugnissen vom Lehrer die schulische Leistung beurteilt. Der Lehrer konnte, wo es ihm sinnvoll erschien, eine Bemerkung anbringen. Im Fach ,Sprache schriftlich’ glaubte er im Frühjahrszeugnis 1955/56 andeuten zu müssen, weshalb er mir keine glatte 1 (damals die Bestnote) erteilt habe. Er präzisierte in Worten «Rechtschreibung sehr gut». Ich erinnere mich, dass ich in der zweiten Klasse in einem Diktat das Wort ,Lieblingskuh’ als einziger fehlerfrei schrieb.

In der Primarschule wurde die Körperstrafe, wie gewöhnlich auch zu Hause, ohne Skrupel angewendet. Die Lehrer verabreichten mit einem Haselstock schmerzhafte Schläge, Tatzen genannt, auf die offene Hand oder versetzten dem Hinterteil des fehlbaren Schülers einen sogenannten Hosenspanner. Wer sich im Klassenzimmer durch lautstarkes Furzen bemerkbar machte, hatte bei Lehrer Marti dieses unverzüglich zu verlassen und sich eine Zeitlang vor der Türe aufzuhalten. «Es hett wider ämal eine d’s Chäsmesser kiiä luu», kommentierte der Lehrer den Vorgang bildhaft. Einmal hatte auch ich meine Gedärme nicht unter Kontrolle und wurde daher, als ich zögerte, energisch zum Hinausgehen aufgefordert. Mir aber war der Aufenthalt vor der Tür sehr peinlich. Daher wollte ich so schnell wie möglich ins Schulzimmer zurückkehren. Doch daran hinderte mich der Lehrer: «Hogg nu nuch echlai dussä». Ich gehörte nicht zu den Schülern, für die eine zeitweise Absenz vom Unterricht ein Vergnügen war.

Auch der Schulweg konnte einen auf die schiefe Bahn locken: Mein Vater, Posthalter von Beruf, beklagte sich eines Wintertags bei der Schule, dass irgendein Schlingel Eisbrocken in einen Briefkasten geworfen hätte, und erwartete, dass der Sünder ausfindig gemacht und bestraft werde. Der Mutter, die mir nach der Rückkehr von der Schule die Geschichte von der durchnässten Briefpost mit der Bemerkung erzählte, hoffentlich sei nicht ausgerechnet ich der Verursacher gewesen, beichtete ich zerknirscht meine Missetat. Am Nachmittag hatte ich dann den schweren Gang zum Sechstklasslehrer anzutreten und mich für den üblen Streich zu entschuldigen. Lehrer Baumgartner fand offenbar, dass ich damit bereits genug bestraft sei. Er sah von einer Strafe ab, nicht aber mein entrüsteter Vater.

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